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UPDATE: Liebscher & Bracht – Wer heilt hat trotzdem nicht Recht?

Mo, 14. Februar 2022 17 Kommentare

Update am 14.02.2022
Sind sind leider sehr rar, die kritischen Auseinandersetzungen von wissenschaftlicher Seite mit Liebscher & Bracht. Umso besser, dass ganz aktuell eine wissenschaftliche Ausarbeitung zu den vielen unbewiesenen Thesen und Heil-Versprechen von L&B veröffentlicht wurde, die praktisch alles, was L&B behaupten und behandeln, als nicht Evidenz basierend entlarvt – oder einfacher ausgedrückt als Unsinn.
Diese Veröffentlichung in der Zeitschrift für Orthopädie und Unfallchirurgie 01/2022 (Thieme) wurde von Fachärzten, Wissenschaftlern und Therapeuten (werden alle im Beitrag genannt) zusammen erarbeitet und hat die Überschrift:
„Keine Evidenz für die biomechanischen und pathophysiologischen Erklärungsmodelle muskuloskelettaler Erkrankungen nach Liebscher & Bracht“
Sie kann hier kostenlos als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Wer es lieber als Web-Seite lesen möchte, der wird hier fündig:

Ursprünglicher Artikel aus November 2017
Roland Liebscher & Dr. Petra Bracht (kurz L&B) sind in den Social-Media-Kanälen beim Thema Schmerztherapie und Arthrose fast allgegenwärtig. Gibt man z.B. in der YouTube-Suche ‚Arthrose‘ ein, prangt einem Roland Liebscher mit unzähligen Videos entgegen.

Auch in unserer TEPFIT-Facebook-Gruppe und in anderen Gruppen, die sich mit Arthrose beschäftigen, wird oft und sehr engagiert über L&B diskutiert.

Da ich den Versprechungen von Liebscher & Bracht wie z.B.

90 Prozent der Gelenkschmerzen werden meistens bereits in der ersten Behandlungsstunde dauerhaft behoben 

und deren Vorwürfen an die Schulmedizin, lt. Liebscher die ‚herkömmliche Medizin‘ – hier wörtlich aus dem Buch „Die Arthroselüge, Goldmann-Verlag, erschienen am 16.10.2017 – auf Seite 19“

Die heutige Realität bezüglich Arthrose und Schmerzen ist ein Jahrhundertirrtum der Medizin

zumindest skeptisch gegenüber stehe, habe ich mich in den letzten Wochen recht intensiv mit Liebscher & Bracht beschäftigt. Dazu habe ich Fachleute (Mediziner und Physiotherapeuten) befragt, intensiv die L&B-Web-Auftritte analysiert, mir einige der Vorträge von Roland Liebscher – auch den zur Arthroselüge – auf YouTube angesehen, die L&B Facebook-Gruppen verfolgt und mich durch das aktuelle Buch „Die Arthrose-Lüge“ gekämpft. Ich muss zugeben, letzteres ist mir zeitweise schwer gefallen ist. (Siehe meine Rezension auf Amazon)

Bewegung der Gelenke im goldenen Herbst

Man sollte auch noch wissen, dass Roland Liebscher keinerlei medizinische Ausbildung hat und seine Frau Dr. Petra Bracht Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde ist, wie die beiden selbst auf ihren Webseiten darlegen.

Es sieht nach Sichtung der vielen Informationen und Informations-Quellen so aus als gäbe es nur Personen, die L&B entweder in den Himmel heben oder wegen deren aggressiven Werbung und umstrittenen Aussagen in die Hölle wünschen.
Es scheint eine Art Parallelwelt zu geben:
Auf der einen Seite die Mediziner und ausgebildeten Experten (Chirurgen, Orthopäden, Physiotherapeuten, Sportmediziner), die von L&B wenig halten oder sogar teilweise nicht kennen (mag daran liegen, dass sich medizinische Fachwelt nur zögerlich den neuen Medien öffnet) und auf der anderen Seite die eingeschworene L&B-Fraktion: Bestehend aus denjenigen, die sich eigenfinanziert zu L&B Schmerztherapeuten haben ausbilden lassen und dann die gelernten L&B Methoden auch wirtschaftlich nutzen möchten und deren Patienten, die nach einigen erfolglosen Operationen mit schlechten Ergebnissen endlich auf Hilfe, auch aus dem Internet, hoffen.
Die Krankenkassen scheinen auch nicht überzeugt von der L&B- Therapie zu sein, da keine der angebotenen Leistungen von der Kasse bezahlt werden. Jetzt kann man entweder ein Komplott der „Medizin-Mafia“ als Grund vermuten – so wie es die L&B-Anhänger tun – oder es gibt eben einfach fachliche und sachliche Gründe, keine Kassenleistungen für diese Behandlungsmethode zu gewähren.
Die Erkärung ist vermutlich ebenso simpel wie einleuchtend: Die vom Roland Liebscher nach seinen Aussagen durch jahrelange Forschung perfektionierte „Osteopressur“ – ein in der Medizin nicht existierender Begriff – mit der 72 bekannte Schmerzpunkte behandelt werden, ist einfach nur ein Kombination aus bereits altbekannten und bewährten Elementen der konservativen Therapien, wie Akupressur (Shiatsu), manuelle Therapie, Physiotherapie, Osteopathie und neuerdings das Faszientraining.
Insofern möchte ich eine positive Wirkung der Behandlungsmethoden zusammen mit der ebenfalls propagieren ausreichenden Bewegung der Gelenke nicht in Abrede stellen – nur ist es eben keine ‚Weltneuheit‘, wie gerne behauptet wird.
Die Ausbildung (Fortbildung) zur einem L&B Schmerztherapeuten, die zwischen 2000,00 EUR und 3000,00 EUR kostet, dauert insgesamt nur vier Tage. Alleine da werde ich persönlich schon skeptisch. Damit sich ein Fachmediziner in Deutschland offiziell auch Schmerztherapeut nennen darf, muss dieser eine 12-monatige Zusatzausbildung absolvieren. Vermutlich deshalb ist ja auch auf der L&B-Webseite immer von ‚Die Schmerzspezialisten‘ die Rede. Diese Bezeichnung ist nicht geschützt!

Vom allseits bekannten, stets im Frühstücksfernsehen und auch sonst medial sehr präsenten Sportwissenschaftler, Prof. Dr. Ingo Froböse, der auf der L&B-Webseite mit seinem Namen wirbt, wollte ich wissen, ob es sportwissenschaftliche Untersuchungen zu L&B-Methoden gibt. Leider blieb meine nachfolgende Anfrage von Anfang Oktober unbeantwortet.

Sehr geehrter Dr. Froböse, ich schätze Sie als Sportwissenschaftler und Fitnessexperte sehr. Umso mehr erstaunt es mich, dass Sie, sofern man der Webseite von Liebscher&Bracht glauben kann, deren Aussagen und Therapien in den höchsten Tönen loben. Besonders deren Aussagen zur Arthrose, von Liebscher Arthroselüge genannt, sind sehr befremdlich und zumindest nach meinen Recherchen durch nichts bewiesen. Haben Sie eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Methoden und Aussagen von Liebscher&Bracht, die Sie mir zukommen lassen könnten? Ich betreibe in FB selbst eine geschlossene Gruppe und habe auch zwei Bücher zum Thema künstliches Hüft- und Kniegelenk geschrieben. Da werden wir natürlich oft mit Liebscher&Bracht konfrontiert. Danke für eine Rückmeldung, gerne auch per eMail.

Ein Physiotherapeut, der auch Mitglied unsere Gruppe ist, hat mir auszugsweise auf meine Frage nach L&B wie folgt geantwortet:

Ich kann nach 25 Jahren Therapie sagen, dass keiner den Gral gefunden hat bzw. finden wird. Nahezu jeder neue Trend ist nichts als ein wiedergekäutes therapeutisches Verfahren im aufpolierten Gewand. Ich diskutiere diesbezüglich fast täglich mit meinen Physio-Kollegen, die jedem dieser Trends hinterher hecheln. Ich persönlich bin seit ein paar Jahren wieder zu den Wurzeln der „rehabilitativen Simplizität“ zurückgekehrt und fahre gut damit (auch wenn ich mich damit der Kritik von Kollegen und teilweise auch Patienten aussetze).

Dr. Georg Kaupe, Orthopäde und Sportmediziner aus Bonn, hatte sich ja bereits in unserer Facebook-Gruppe so geäußert:

Eine elementare Diagnose in der Medizin und indirekt die damit verbundenen Fakultäten sowie die dort arbeitenden Spezialisten der Lüge zu bezichtigen, ist schon ein sehr ambitioniertes Marketing. Wo sind die wissenschaftlichen Studien und zahlreichen Erfolge mit Statistik bitte zu finden? Beste Grüße aus Bonn Dr. Georg Kaupe, Facharzt für Orthopädie / Sportmedizin

Auch unseren sehr geschätzten Dr. Christian Fulghum, Chefarzt der endogap – Garmisch-Partenkirchen habe ich zu Liebscher & Bracht befragt, hier auszugsweise seine Antwort.

Seriös kann das nicht sein, dazu sind die Aussagen zu absolut (z.B.: 90% der Schmerzen in einer Behandlungsstunde eliminieren).
Eine Stellungnahme fällt mir derzeit entsprechend schwer, weil ich keine direkte Erfahrung damit habe. Geht wohl auch anderen so. Werde mich aber weiter erkundigen und sehen, was ich tun kann

Roland Liebscher habe ich ebenfalls persönlich über seine Web-Seite angeschrieben. Leider auch, wie bei Dr. Froböse, ohne eine Antwort! Nachfolgend mein Schreiben / meine Fragen:

Sehr geehrter Herr Liebscher,

ich muss zugeben, dass ich Ihren Aussagen wie ’90 % Schmerzfreiheit nach einer Behandlung‘ oder Ihren Aussagen zur Arthroselüge sehr kritisch gegenüberstehe. Zudem behaupten Sie wörtlich, ’sehr viele Patienten hätten mit einem künstlichen Gelenk, die gleichen Gelenkschmerzen wie vorher‘.

Damit stellen Sie elementare Diagnosen in der Medizin in Frage und bezichtigen indirekt die damit verbundenen Fakultäten sowie die dort arbeitenden Spezialisten der Lüge.

Ich selbst habe zwei künstliche Hüftgelenke, die auf Grund einer angeborenen Hüft-Dysplasie bereits im Alter von 39 und 51 notwendig wurden. Ich bin seitdem absolut schmerzfrei und sehr, sehr sportlich unterwegs. (Siehe hier: http://endoprothese-und-sport.de).

Daher hätte ich zwei Fragen, bzw. Bitten an Sie:

  1. Gibt es wissenschaftliche Studien, die Ihre Theorien und Aussagen beweisen und wenn ja, wäre es nett, wenn Sie mir die Quellen nennen würden. Ich würde diese dann auch mit Ihrer Genehmigung auf meinen Webseiten und/oder korrespondierenden FB-Seiten/FB-Gruppe veröffentlichen.
  2. Warum werden Ihre Therapien, die nach Ihren Aussagen vielen Patienten direkt helfen und zudem – nach Ihren Aussagen – die meisten unsinnigen OPs verhindern, nicht von der Kasse bezahlt, bzw. warum haben Sie keine Kassenzulassung?

Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus!

Ich wäre übrigens wirklich auf der Antwort von Roland Liebscher sehr gespannt gewesen. Ich persönlich finde die Aussagen in dem Buch „Die Arthroselüge“ mehr als fragwürdig und vor allen Dingen falsche Hoffnungen bei Betroffenen weckend. Die viel zitierte Studie, mit der bewiesen werden soll, dass Arthrose heilbar ist, beruht auf einem komplexen medizinischen Eingriff mit gerade mal zwanzig freiwilligen Probanden.
Dabei gab es zwar teils unerwartete Ergebnisse, allerdings bei einer äußerst risikobehafteten operativen Extensions-Methode mit Knochenbohrungen für eine Fixatur (siehe Zeichnung aus der Studie unter nachfolgendem Link). Zwei der Probanden bekamen eine Lungenembolie und insgesamt siebzehn!! (von zwanzig) eine einfache oder mehrfache Pin-Trakt-Infektion (Infektionen an den Bohrungen der Fixatur). Da man außerdem versäumt hat, die Einnahme von Medikamenten vor und während des Versuchs (der Behandlung) zu dokumentieren, kann man einen Einfluss auf das Ergebnis nicht ausschließen. Das wird ausdrücklich als Fehler im Studien-Aufbau benannt.
Alles im Original nachzulesen in dem ausführlichen medizinischen Versuchsbericht in englischer Sprache.
Warum allerdings bei einigen öffentlichen Auftritten von Roland Liebscher, wie zuletzt in der Sendung ‚Konkret‘ des ORF, die oben genannten Details dieser Studie nicht hinterfragt werden, wenn sich Herr Liebscher zur Begründung für seine Aussagen zur Arthroselüge darauf beruft, erschließt sich mir nicht wirklich. Es ist allerdings auch Methode und Teil seines Erfolges, dass er seine Theorien wie in einer Dauerschleife immer und immer wieder, teils etwas anders formuliert, gebetsmühlenartig wiederholt, bis der ermüdete Zuhörer oder Leser es dann einfach glaubt.
Eine andere Taktik ist es, so entwaffnend unwissenschaftliche Aussagen zu treffen, dass man denkt, er muss einfach Recht haben. Als Beispiel dafür mag nachfolgende Einleitung zu seinem Buch „Die Arthroselüge“ auf Seite 18 gut geeignet zu sein:

Arthrose und Schmerzen sorgen für viel Leid nicht nur in unserem Land, sondern auf der ganzen Welt. Wir haben nun eine äußerst erfreuliche Nachricht für Sie: Das Problem der Arthrose und Schmerzen ist gelöst. Fragen Sie uns nicht, warum gerade wir das geschafft haben. Es hat sich einfach so entwickelt und hat immerhin 30 Jahre gedauert

Immerhin eine Aussage in seinem aktuellen Buch auf Seite 107 hat mich nachdenklich gemacht. Dort steht zum Thema künstliche Gelenke folgendes zu lesen:

Wir fragen uns aber, wie man auf die Idee kommen kann, eine nachgiebige Originalgelenkfläche durch eine superharte aus Metall, Plastik oder Keramik zu ersetzen. Für uns stimmt das schon im Ansatz nicht, denn auf diese Weise übertragen sich Erschütterungen in bestimmten Gelenkwinkeln ungebremst auf die Knochen. Und da wundern sich die Konstrukteure, dass die Ersatzgelenke sich lockern?’

Hier sollten tatsächlich Fachmediziner und Hersteller mehr Anstrengungen unternehmen, um das künstliche Gelenk dem Originalen möglichst ebenbürtig zu machen. Erste Versuche mit nachwachsenden Gelenken aus Stammzellen bei Tieren gibt es bereits!

Mein Fazit:
‚Wer heilt hat Recht, aber nicht immer!‘
Deshalb sollte jeder, der meint, die L&B-Methoden könnte helfen, das ruhig mal ausprobieren und danach selbst beurteilen, ob das Geld gut angelegt war. Die Art und Weise, wie Liebscher & Bracht ihr Theorien verbreiten, mag man kritisieren – sie sind damit aber durchaus erfolgreich.